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Rezepte gegen Lieferengpässe: Ersatzteil- und Obsoleszenz-Management

Vor kurzem fielen in Stuttgart mehrere S-Bahn-Züge aus. Sie brauchten neue Radsätze, die aber in der aktuell benötigten Anzahl nicht verfügbar waren. Auch wenn es in jedem solcher Fälle spezielle Ursachen für den plötzlichen Bedarf oder eine Verzögerung gibt, sehen wir doch: Fehlende oder nicht kompatible Ersatzteile für Maschinen, Geräte oder Steuerungen führen zu Lieferengpässe in der Industrie und sind keine Seltenheit mehr. Die Gründe sind vielfältig. Vier seien hier skizziert.

Zum einen ergeben sich die Lieferengpässe durch die Auswirkung von Regularien und Beschränkungen auf nationaler und internationaler Ebene – wenn also aus politischen Interessen Restriktionen oder Handelssanktionen beschlossen werden wie etwa aktuell gegen Russland wegen des Ukraine-Krieges. Handelsbeschränkungen gab es aber auch schon (und wird es auch in Zukunft geben) zwischen den USA, Europa und China. 

Globaler Handel und Corona

Eine Unterbrechung der Handelswege in großem Stil gab es vor allem während der Corona-Pandemie, als ganze Städte, Häfen und wichtige Umschlagknoten abgeriegelt wurden. Diese Erfahrungen zeigen uns regelmäßig, welche Risiken die Vernetzung der Welt mit sich bringt und welche Probleme die Unterbrechung der Lieferketten verursachen kann.

Nun soll eine freie Marktwirtschaft in erster Linie frei sein und sich an den Bedürfnissen des Marktes ausrichten. Denn ein freier Markt kann die sich ständig ändernden Anforderungen der Kunden am effizientesten befriedigen. Je größer, je globaler der Markt und je umfangreicher er geregelt ist, desto anspruchsvoller ist diese Aufgabe. Und je mehr in diesen globalen Handel politisch eingegriffen wird – egal mit welch guter Absicht – umso schwieriger wird die Versorgungslage.

Eine sichere und einfache Lösung – wenn auch nicht die beste – wäre, wenn die Lieferkette unter ein und demselben Einfluss stände, wenn also die gesamte Produktion zu meinem eigenen Unternehmen gehört und die Wege nicht so weit sind. Stichwort Regionalität und hohe Fertigungstiefe. Doch dadurch würden viele Vorteile der Arbeitsteilung verloren gehen. Ich könnte nicht die Preisvorteile anderer Standorte nutzen, gleichzeitig müsste ich für jeden möglichen Fall und jedes Bauteil Personalkapazität und Spezialisten-Knowhow selbst aufbauen und vorhalten. Das ist organisatorisch unrealistisch und finanziell uninteressant.

Immer mehr elektronische Bauteile in Maschinen und Fahrzeugen

Denn – ein weiteres Problem – in fast jedem Bereich der Industrie, beim Pkw ebenso wie bei Nutzfahrzeugen, wo viele unserer Ingenieure tätig sind, hat die Zahl der elektronischen Bauteile und Systeme in den letzten Jahren enorm zugenommen. Abstandswarner, Abbiegeassistent, Absaugen von Bremsstaub – jede einzelne dieser Methoden ist für sich genommen sinnvoll. Aber in Summe stellen sie eine ungeheure Erhöhung der Systemkomplexität dar – unter anderem weil die Anzahl der Varianten deutlich zunimmt und in der Planung von Service und Instandhaltung die Kompatibilität verschiedener Versionen und Baureihen auch über längere Zeit sichergestellt werden muss: Was ich heute verbaue, dafür brauche ich eigentlich in zehn Jahren noch Ersatz. Bis dahin ist die technologische Entwicklung aber schon längst viel weiter. Der Lifecycle einer Entwicklung wird immer kürzer und die Geschwindigkeit der Entwicklung immer höher.

Heute sind in einem modernen Fahrzeug bis zu 10.000 verschiedene Einzelteile verbaut. Das setzt eine systematische und professionelle Planung von Service und Ersatzteilmanagement voraus. Sie muss dem globalen Lieferanten- und Entwicklernetzwerk angepasst und sauber dokumentiert werden. Ein einzelnes Unternehmen kann nicht alle Baugruppen für sein Produkt regional produzieren oder beschaffen. Daher findet die o.g. Idee von der Regionalität oder der Ersatzteil-Produktion im eigenen Unternehmen in der Praxis schnell ihr Ende.

Hoher Bedarf an qualifiziertem Personal und Fortbildungen

Drittes Problem: Die Fülle und Vielfältigkeit der Teile in heutigen Fahrzeugen, Maschinen und Anlagen hat gravierende Auswirkungen auf unser Personal. Zwar hat Elektronik in der Maschinenbau-Ausbildung heute einen festen Platz, den aktuell Lernenden und Studierenden wird mehr Fachwissen in dieser Hinsicht vermittelt. Doch um mit der Geschwindigkeit mithalten zu können, in der neue Systeme (z.B. Abbiegeassistent) vom Markt gefordert und vom Gesetzgeber vorgeschrieben werden, ist eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Dienstleistern und Lieferanten geboten. 

Die Folge: Alle Beteiligten müssen ihre Mitarbeiter kontinuierlich schulen, um neues Wissen und verbesserte Methoden zu vermitteln. Dabei laufen wir jedoch Gefahr, dass wir die Menschen überfordern. Manche wollen einfach nicht mehr alles Neue mitmachen. In diesem Fall sind nicht Lieferkette oder Materialmangel das Problem, sondern die Führung des Personals. Hier sind Führungskräfte gefordert, durch gute Kommunikation und Transparenz die Motivation im Team aufrecht zu erhalten und damit eine gute Firmenkultur zu etablieren und zu leben.

Hamstern ist nicht immer eine gute Idee

Schließlich ein vierter Punkt, der für viele die Basis für ein gelingendes Ersatzteil-Management zu sein scheint und zugleich Lieferengpässe an anderer Stelle verschärft: Sie hamstern = sie erhöhen den eigenen Lagerbestand. Während uns die Controller in den Vor-Corona-Jahren vorgerechnet haben, dass sich reduzierte (!) Lagerbestände positiv auf die Kosten auswirken, haben wir nun festgestellt, dass nicht vorhandene oder veraltete oder defekte Ersatzteile unkalkulierbar hohe Folgekosten zum Beispiel durch Maschinenstillstand verursachen. Lagern allein reicht also nicht, wir brauchen eine vorsorgende Planung. 

Hier kommt das Thema Obsoleszenz-Management auf die Tagesordnung: eine systematische Planung von Lagerbeständen, Berücksichtigung von Alterungsprozessen des eingelagerten Materials und Berücksichtigung von Abkündigungen und Versionsänderungen. Weder Hamstern noch ein knapp kalkulierter Bestand sind die Lösung. Der Schlüssel zur Lösung des Problems liegt in der gemeinschaftlichen Planung eines belastbaren Servicekonzeptes, um langfristig den Ersatz- und Aftersales-Prozess sicherzustellen. 

Organisation-Talente für Internen Logistik Support (ILS)

Dieses Servicekonzept beinhaltet eine kluge Ersatzteilbevorratung, verlässliche Lieferantenauswahl und ein durchdachtes Obsoleszenz-Management. Und dafür braucht es ein klares Konzept und die richtigen Leute. Wir sind gerade dabei im Kunden-Auftrag ein solches Team für Internen Logistik Support (ILS) aufzubauen: Hochqualifizierte, mit Prozessen vertraute und im Management erfahrene Organisations-Talente, Technische Redakteure und SAP-Anwender. Sie helfen unseren Kunden durch methodische und nachhaltige Material- und Personalplanung eine hohe Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen zu gewährleisten.

Sie müssen nicht nur im Blick haben, wo welches Ersatzteil zu welchem Preis produziert und bezogen werden kann, sondern auch Wege, Zeitaufwand und Fristen kennen – und all das, was man gemeinhin Unvorhergesehenes nennt. Sie müssen mit Entwicklern, der Fertigung und dem Service ein Gespür dafür entwickeln, wann wo welcher Bedarf bestehen wird. Sie müssen berücksichtigen, welche Qualifizierungen, Schulungen und Werkzeuge für die Techniker und Facharbeiter notwendig sind, um die Service-Arbeiten auszuführen. Sie sind keine Kartenleser und haben keine Kristallkugel vor sich. Aber sie sammeln Wissen und Erfahrungen, die Firmen bereits gemacht haben. Und das ist der vielleicht wichtigste Punkt, um den zunehmenden Schwierigkeiten mit Lieferengpässen zu begegnen: Erfahrungen sammeln und im Rahmen des Logistik Supports verfügbar machen.

Nur dann kann ich für die Zukunft wirklich gut vorbereitet sein.