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Welche Folgen hat KI auf Hochschul-Prüfungen?

Folgen von KI auf Hochschul-Prüfungen

Im Mai habe ich meinen Lehrauftrag für Coaching im Master-Studiengang Digitale Unternehmensführung (MBA) begonnen. Nun stehen zum Ende des Semesters die ersten Prüfungen an – und damit die Frage: Wie prüft man auf zeitgemäße Weise in einem zeitgemäßen Fach? Natürlich digital. So wie es Schulen und Hochschulen während der Corona-Pandemie notgedrungen gemacht haben.

Doch die Zeiten haben sich seitdem auch wieder geändert. Denn folgendes Szenario ist mittlerweile möglich: Der Prüfling wird in einer Online-Konferenz etwas gefragt. Er (oder sie) wiederholt die Frage scheinbar laut nachdenkend, spricht sie also nochmals vor sich hin. Nach wenigen Sekunden – die Augen wandern immer mal von der Kamera weg – kommt die richtige Antwort. Aber wer hat sie de facto gegeben? Der Prüfling? Ein Dritter im Raum – von der Kamera nicht erfasst – oder neuerdings ChatGPT?

Vorsicht vor Generalverdacht

Das Szenario mag einen Extremfall beschreiben, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass bei Prüfungen, bei denen Prüfling und Prüfer nicht im selben Raum sitzen, immer häufiger Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt. Ein Kollege erzählte von einem Studenten, der eine aus seiner Sicht gut geschriebene Hausarbeit abgegeben hat, bei der mündlichen Präsentation des Hausarbeits-Themas aber mächtig ins Schwimmen kam. Das ist noch lange kein Beweis dafür, dass er die Hausarbeit von ChatGPT oder anderen KI-Angeboten (oder Kommilitonen) hat schreiben lassen. Aber möglich ist es.

Und genau da liegt im Moment das Problem: Gehen wir bei allen Prüflingen von der Möglichkeit aus, dass sie auf diese Weise betrügen, stellen wir sie alle unter Generalverdacht. Setzen wir hingegen auf Vertrauen, prüfen in online Videokonferenzen und ersparen allen Beteiligten eine Überprüfung der erbrachten Leistung auf Authentizität, wäre das möglicherweise fahrlässig und ungerecht gegenüber denjenigen, die eine wirklich eigene Leistung abgeliefert haben.

Gute alte Zeit: Prüfung mit Zettel und Stift

Also wieder zurück zur Prüfung vor Ort mit Zettel und Stift? – Das ist auf den ersten Blick vielleicht nicht zeitgemäß, würde aber in Sachen KI-Betrug bei einer schriftlichen Prüfung alle Eventualitäten ausschließen. Oder wir setzen verstärkt auf mündliche Prüfungen vor Ort, dann sparen wir uns den Einsatz von Zettel und Stift. 

Damit würden wir aber die Möglichkeiten, die uns digitale Kommunikation heute auch in Lehre und Wissenschaft bietet, ad absurdum führen. Außerdem sind mündliche Prüfungen meist stärker subjektiv. Vielen Studierenden und auch Schülerinnen und Schülern liegt das freie Reden und Erklären und mitunter Diskutieren eher als schriftliche Prüfungsformen. Und gerade in meinem Fach Coaching spielen Persönlichkeit und persönliches Auftreten und Rüberkommen eine sehr große Rolle. Damit sind aber Prüfungsergebnisse immer stärker subjektiv beeinflusst und damit schwerer zu vergleichen.

Wie auch immer wir es angehen: Spätestens seit der Einführung und freien Verfügbarkeit von ChatGPT Ende des vergangenen Jahres müssen sich alle betreffenden Institutionen, Hochschulen und auch wir Lehrkräfte Gedanken machen, welche Auswirkungen möglich sind und wie wir ihnen gerade in Studienfächern mit digitalem Schwerpunkt begegnen. Fürs erste werde ich meine Prüfungen tatsächlich wie in der „guten alten Zeit“ durchführen, also schriftlich mit Zettel und Stift und anschließend mündlich; auch um jedem Prüfling die Chance zu geben, individuelle Stärken wie schriftliche Dokumentation oder mündliche Präsentation ausspielen zu können. 

So wie es durch KI und die freie Verfügbarkeit von KI neue Kommunikationsformen und -möglichkeiten gibt, so müssen wir aber zeitnah auch neue Prüfungsformen finden. An den Hochschulen ebenso wie an Schulen, bei Handwerkskammern, IHK und privaten und öffentlichen Akademien. Eine wichtige und enorme Aufgabe, die da vor uns liegt.