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Den Chef duzen? Eine Unternehmenskultur mit Fallstricken

In der Wochenzeitung „Die Zeit“ erschien nach der Bundestagswahl ein Streitgespräch zum kollegialen und mitunter kumpelhaften Miteinander der neuen Koalitionspartner. Die 63-jährige Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) diskutierte mit dem 16 Jahre jüngeren Sören Bartol (SPD) über das Duzen und Siezen im persönlichen Umgang von Politikern.

Kurz zuvor wurde ich zu einer virtuellen Podiumsdiskussion eingeladen. Neben der Moderatorin waren unter anderem ein Universitäts-Professor, ein Unternehmensberater und zwei Unternehmensgründer dabei. Im Vorfeld gab es ein Kennenlern-Treffen der Beteiligten, und die Veranstalter überrumpelten mich ein wenig mit der Aussage: „Damit wir uns alle hier offen und kollegial austauschen können, wollen wir uns alle duzen.“

Das „Du“ entscheidet nicht über die Qualität einer Beziehung

Das hat mich nicht nur überrascht, ich will das auch grundsätzlich nicht. Da geht es mir dann wie der FDP-Politikerin: Das Duzen allein ist nicht entscheidend für die Qualität einer fachlichen, geschäftlichen oder persönlichen Beziehung. Darum mag ich auch dieses Zwangs-Geduze nicht. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, die bei der Diskussion Mitwirkenden – allesamt mir bis dato unbekannt – zu duzen. Nur, weil das einen kollegialen Austausch fördert. Die FAZ berichtete im November, dass man sich in 24 Prozent aller deutschen Unternehmen konsequent duze. „Viele Arbeitnehmer sind erpicht darauf, top-integriert und offen für Neuerungen aller Art zu sein“, heißt es in dem Artikel.

Meiner Meinung nach ist aber das Gegenteil der Fall: Schnelles Duzen kann ebenso schnell die Professionalität im Austausch und in der Zusammenarbeit behindern. Natürlich habe ich Geschäftspartner, mit denen ich schon so lange zusammenarbeite und sie auch (meist schon aus der Zeit vor der Zusammenarbeit) persönlich kenne, so dass wir uns duzen. Das geschieht aber eben nicht, weil es modern, zeitgemäß oder entscheidend für eine erfolgreiche Zusammenarbeit wäre, sondern weil dem Ganzen eine lange vertrauensvolle Beziehung zugrunde liegt. Wobei selbst das allein noch nichts aussagt. Man kann vertrauensvoll auch „per Sie“ sehr gut und erfolgreich zusammenarbeiten. 

Sachebene und Beziehungsebene weiter trennen

In unserem Unternehmen habe ich Techniker, Ingenieure und andere MINT-Fachleute zu führen, beim Kunden einzusetzen, Teamleiter zu kontaktieren, bei fachlichen Fragen oder gar Konflikten zwischen Mitarbeitern oder beim Kunden zu beraten und zu vermitteln. Das alles geht wesentlich einfacher, wenn wir alle auf einer Augenhöhe agieren, und die darf ruhig erst einmal ein bisschen förmlich sein. 

Zwar duze auch ich einige wenige unserer langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist aber der Ausnahmefall. Denn ein „Du“ führt schnell dazu, dass fachliche Diskussionen oder betriebliche Entscheidungen, die ich als Geschäftsführer nun einmal treffen muss, auf der Beziehungsebene landen. Und da können sie langfristig einen beträchtlichen Schaden anrichten – für die Betroffenen persönlich, aber auch für die Unternehmen, denen sie angehören. 

Ein freundliches „Sie“ hat nichts mit Distanzieren zu tun

Darum plädiere ich für das „Sie“ oder zumindest gegen ein „Zwangs-Du“, wie es gerade bei jungen Unternehmen unter Kollegen, aber auch in Hierarchien und zum Teil zwischen Kunden und Dienstleister verbreitet ist. Ich habe als Unternehmensberater oft genug erlebt, wie sich Konflikte hochschaukeln können, weil die Duz-Partner nicht mehr zwischen Sache und Person differenzieren.

Und das alles nur, weil ein „Sie“ angeblich spießig und distanziert klingt? Das ist Unfug. Ein höfliches und respektvolles „Sie“ bedeutet nicht zwingend, dass ich mich von Gesprächspartnern, Kollegen oder meinen Beschäftigten distanziere. Auf der Baustelle für unser neues Seminar- und Coaching-Zentrum in Roggenburg hat mich neulich ein Bauarbeiter geduzt – und gleichzeitig verlangt, dass ich ihn ruhig weiter sieze. Für ihn war es ein Ausdruck der Wertschätzung gegenüber dem Kunden. Wobei eine solche Form einer Untergebenen-Kultur für mich sehr gewöhnungsbedürftig wäre. Ich habe es aber hingenommen, für den Moment war es okay, und der Arbeiter hat sich damit wohlgefühlt.

Das „Du“ ist kein Garant für eine erfolgreiche Geschäftsentwicklung

Die Frage, ob „Du“ oder „Sie“, kann man also ganz individuell und unverkrampft klären. Unüberlegtes oder vorschnelles Handeln führt aber – siehe oben – oft genug zu Konflikten oder manchmal zu einem eigenartig gekünstelten oder oberflächlichen Umgang. Lieber eine tiefe, belastbare und ernsthafte Geschäftsbeziehung, als eine oberflächliche und weniger ernst zu nehmende Möchte-Gern-Geschäfts-Kumpanei.

Man muss nicht alle Hierarchien aufrechterhalten. Und die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann verweist in der „Zeit“ mit Recht darauf, dass Eltern glücklicherweise nicht mehr von den Kindern gesiezt werden. Aber man muss auch nicht alle Moden mitmachen. Sollen sich die duzen, die das wollen. Als pauschales, für alle Beteiligten zwangsweise gültiges Mittel der Unternehmenskultur ist es ungeeignet. Und ein Garant für schnelle Abstimmungswege und unternehmerischen Erfolg ist es auch nicht.