Meine Firma cigus, deren Geschäftsführung ich bis Anfang des Jahres innehatte, hat sich vergangene Woche wieder auf der Hochschulmesse in Kempten präsentiert. Diesmal mit einem neuen Outfit und wie immer auf der Suche nach den besten Fachleuten vor allem aus den Ingenieurwissenschaften. Neue Fachleute suchen in Zeiten wirtschaftlicher Ungewissheit – ob das nicht verkehrt sei, wurde ich gefragt. Ganz im Gegenteil: Recruiting ist absolut wichtig, auch in scheinbar schwierigen Zeiten. Es wäre ein grober Fehler, die Anwerbung neuer Mitarbeiter zu vernachlässigen.
Einmal abgesehen davon, dass die wirtschaftliche Lage gar nicht so extrem schlecht ist, wie das manche Medien und Vertreter gelegentlich darstellen: Gerade wenn es Unsicherheiten gibt, steigt bei manchen Angestellten die Wechselbereitschaft. Ist mein Job noch sicher? Verspricht eine andere Position evtl. mehr Sicherheit? Diese Fragen stellen sich auch gut bezahlte Ingenieure und Techniker. Das ist menschlich und auch völlig normal. Jeder macht sich Gedanken über die berufliche Perspektive. Diese Gedankenspiele kann ich mir als Rekruter oder Personalleitung eines Unternehmens zunutze machen.
Sich permanent als Arbeitgeber positionieren
Dafür muss ich stets aktiv bleiben. Recruiting ist ein permanenter Prozess. Der pausiert nicht eben für ein paar Monate, weil die Auftragslage wegen nationaler oder internationaler Herausforderungen schwächelt. Wenn die Wirtschaft wieder anzieht, ist es wichtig mit qualifizierten und motivierten Mitarbeitern parat zu stehen. Wenn ich vorher beim Recruiting auf Stand-by gegangen bin, kann ich das nicht. Darum: Egal, ob die Lage gerade gut oder schlecht oder durchwachsen ist, ich muss mich immer als Arbeitgeber positionieren.
Natürlich bleiben wirtschaftliche und unternehmerische Risiken. Wir können nicht alle Krisen, die die Welt verändern, im Blick haben. Trotz aller Vorsorge und Vorbereitungen bleibt eine Unsicherheit, die wir nicht in der Hand haben. Ob ein US-amerikanischer Präsident mit Zoll-Phantasien die Wirtschaft verunsichert oder eine missglückte Bundeskanzler-Wahl für Irritationen sorgt. Wir können als Unternehmer, Geschäftsführer oder Personalverantwortliche nicht alles steuern. Also dürfen wir uns davon auch nicht über Gebühr beirren lassen.
Chancen nutzen und intern klar kommunizieren
Dazu zählen auch internationale Bewegungen im Markt, die zum Beispiel Zulieferer betreffen. Die Verlagerung von Produktion und Know-how ins Ausland etwa, die Erschließung neuer Märkte und Nutzung von Potenzial auf anderen Kontinenten. All das bietet Chancen und Risiken, und wir müssen uns in solchen Fällen den Veränderungen anpassen. Dazu zählen nicht nur kulturelle Unterschiede, sondern auch das nötige Engagement der eigenen Mitarbeiter und die Offenheit für Neues.
Und noch etwas ist wichtig zu beachten: eine gute und permanente interne Kommunikation bzw. Mitarbeiter-Kommunikation. Denn nicht nur in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird über die Entwicklung einer Firma geredet, vielleicht kommt es zu Kurzarbeit, dann gibt es schnell Gerüchte, und schon setzt eine Mitarbeiterflucht ein. Wenn die Wirtschaft dann anzieht, fehlen dem Betrieb wiederum wichtige Arbeitskräfte. Darum ist es wichtig, fachlich gute und motivierte Beschäftigte zu halten und sie immer offen und vertrauensvoll über die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung einer Firma zu informieren. Die Bedeutung von interner Kommunikation in Betrieben ist nicht zu unterschätzen.
Mitarbeiter brauchen Ziele und Visionen
Was alle Unternehmen – nicht nur wir als Technologie- und Ingenieur-Unternehmen – brauchen, sind qualifizierte Fachkräfte, die zu uns kommen wollen. Die sich speziell für uns und unsere Arbeit begeistern. Diese Fachleute kann ich aber nur gewinnen, wenn ich permanent über mich als Unternehmen informiere und mich überzeugend und zeitgemäß präsentiere. Dafür braucht es auch eine ebenso überzeugende Recruiting-Strategie.
Natürlich gibt es auf der anderen Seite auch Beschäftigte, die nicht gezielt zu einem bestimmten Unternehmen hinwollen („Das ist mein Ziel“), sondern die vor allem von ihrem bisherigen Arbeitgeber wegwollen („Hauptsache weg“). Das sind dann nicht per se die schlechteren Arbeitskräfte, aber ihnen fehlt oft eine Vision. Sie zu unterstützen eine solche Vision zu entwickeln, kann die Aufgabe für ein gutes Coaching sein, aber auch für ein gutes Recruiting.
Erfolgreiche Rekruter bieten denjenigen, die sie gewinnen wollen, eine Perspektive. Das geht nur zum Teil über Wirtschaftszahlen – vielleicht auch gar nicht – es geht vor allem über Netzwerke, gute Kontakte und Emotionen oder Begeisterung. Die wirtschaftliche Entwicklung und deren Bewertung ist immer auch Psychologie. Bei der Gewinnung guter, motivierter Fachleute aus Technik und Informatik ist das nicht anders.