Allgemein

Arbeitszeiterfassung muss so flexibel sein wie die Arbeit selbst

Mitte September hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass es eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung geben soll. Wobei es ja streng genommen nur entschieden hat, dass eine schon lange gültige europäische Richtlinie resp. ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) – so wie vorgeschrieben – in nationales Recht umgewandelt wird. Nach dem Urteil war viel von der Rückkehr zur antiquierten Stechuhr und von Steinzeit die Rede, von Kontrolle, von Jubel bei Gewerkschaften und Schock bei den Unternehmern. Doch so simpel ist es nicht.

In unserem Unternehmen beispielsweise – in dem viele Ingenieure und Techniker bei Kunden aus Fahrzeugbau, Maschinenbau oder Optik vor Ort tätig sind – ändert sich durch das Urteil wenig. Die meisten unserer Leistungen werden ohnehin auf Stunden- und damit Zeit-Basis kalkuliert und abgerechnet. Ganz einfach, weil unsere Kunden das so wünschen und weil ich als Geschäftsführer wissen will, wo wir Geld verdienen und wo wir es verbrennen. Dafür werden und wurden schon bisher die Arbeitszeiten minutengenau festgehalten. 

Leistung erhalten und nach Arbeitszeit zahlen

Änderungen wird es dort geben, wo wir von „Vertrauensarbeitszeit“ (oder „Vertrauenszeit“) sprechen. Das gilt bei uns zum Beispiel für die Beschäftigten in Verwaltung, Buchhaltung, Recruiting und Vertrieb. Dort, wo sich die Ergebnisse nicht in einer ganz bestimmten Anzahl Stunden oder in einem festen Zeitfenster erreichen lassen. Wir sind ein Dienstleistungs-Betrieb, der neben technischem Knowhow und Industrie-Erfahrung vor allem auf Kundenorientierung setzt. Suchen unsere Kunden Fachleute für ein bestimmtes Thema wie zum Beispiel einen Entwickler für Hardware-Projekte oder einen leitenden Projektmanager, dann ist es unser Job, die richtigen Leute zu finden, zu überzeugen und zu vermitteln. 

Unsere Experten recherchieren und telefonieren dafür und führen die Gespräche mit interessierten Bewerbern. Das ist oft nur an Randzeiten des Tages möglich, denn die meisten der von uns gefundenen Fachkräfte stehen tagsüber im Beruf. Sprich: Es gibt hier keine nine-to-five-Arbeitszeit, sondern wir arbeiten bei Bedarf recht flexibel.

Arbeit soll Spaß machen – und flexibel möglich sein

Und da liegt eines der Probleme der Stechuhr-Debatte: Bei allem Verständnis für eine eindeutige Arbeitszeiterfassung, die unter anderem Fremd- und Selbstausbeutung verhindern soll: Wir brauchen Flexibilität in der Arbeit. Denn was bezahlen wir denn wirklich? In den meisten Fällen keine Zeit, sondern Leistung und Ergebnisse. Ob das Brötchen beim Bäcker, die neue Website oder die Entwicklung einer Technologie – immer haben wir ein Ziel, das erreicht werden soll. Und jeder Mitarbeiter hat unterschiedliche Eigenarten und Geschwindigkeiten beim Erreichen des Ziels. Der eine erbringt die Leistung in kurzer Zeit, ein anderer braucht länger.

Wir zahlen im Prinzip für das Ergebnis. Und wer das Ergebnis in kurzer Zeit erreicht, hätte logischerweise einen höheren Stundensatz verdient. Wer für eine ähnlich gute Leistung doppelt oder dreimal so lange braucht, sollte für das Endergebnis – wenn es qualitativ vergleichbar ist – bestenfalls dasselbe End-Geld erhalten, aber nicht denselben Stundenlohn. Aber so ist es leider natürlich nicht.

Zeit ist ein bestimmender Wert in der Arbeitswelt. Ohne die Erfindung der Uhr wäre die moderne Fertigung nicht geboren worden. Die gesamte Industrialisierung war erst nach Einführung der Uhr und das „Arbeiten wie am Fließband“ erst mit Hilfe der Stoppuhr möglich geworden. Doch dabei handelt es sich um immer gleiche oder zumindest um ähnliche Tätigkeiten, die von mehreren Menschen vergleichbar erbracht werden. Am Band arbeiteten alle im selben Rhythmus, jeder Takt brachte das definierte Ergebnis. Sonst gab es Durcheinander.

Vom Fließband zur Arbeitswelt 4.0

Heute – wo unsere Wirtschaft schon lange nicht mehr allein durch Industrie, sondern mehr und mehr durch individuelle Dienstleistungen geprägt ist – kann dieses System nicht mehr unverändert angewendet werden. Zugespitzt formuliert: „Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 kann man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren“, wie es die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände formulierte.

Denn wie oben schon geschrieben: Eigentlich zahlen wir alle – Konsumenten im Privaten wie Kunden in der Industrie – nicht für Zeit, sondern für Leistung. Egal ob ich mein Auto in die Werkstatt bringe, ein Monteur den neuen Wasserhahn installiert oder ich die Entwicklung einer Software in Auftrag gebe: Ich möchte, dass eine Leistung erbracht und ein Ergebnis erzielt wird. Und ich brauche einen Preis auf den ich meine Kalkulation aufbaue und der verlässlich ist. 

Die Schwierigkeit von Tarifverträgen ist unter anderem, dass sie eben nicht auf Leistung setzen, sondern auf Zeit. Und auf Kategorien und Stufen von Befähigungen und Tätigkeiten. Hier wird Jahr für Jahr um Stunden und Minuten und Urlaubstage etc. gefeilscht. Und dabei oft aus dem Blick verloren, dass das Endergebnis nicht nur von der eingebrachten Zeit abhängig ist. 

Für mich ist entscheidend, dass meine Beschäftigten und auch meine Dienstleister ihre Arbeit gut machen und – siehe auch mein Beitrag über New Work – dass sie sie gerne machen! Bei allem Verständnis für den juristischen Streit um die Frage, wer wann wo und wie eine Arbeitszeiterfassung verlangen oder einführen darf: Arbeit soll Spaß machen. – Lieber eine teure halbe Stunde mit hervorragender Leistung und Freude an der Arbeit als eine billige Stunde, die weder dem Arbeitnehmer noch dem Kunden etwas bringt.

Ein Kommentator bezeichnete das Urteil des Arbeitsgerichts als „Bürokratie-Irrsinn aus der Steinzeit“ – doch das muss es nicht werden, wenn Politik, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich jetzt klar machen, worum es eigentlich gehen sollte: Nicht um Schwerfälligkeit und Gleichmacherei, sondern in erster Linie um den Schutz der Arbeitnehmer durch „objektiv und verlässlich zugängliche“ Arbeitszeiten. Weder im Stechuhr-Urteil des EuGH noch im jetzt veröffentlichten Urteil des Bundesarbeitsgerichts steht etwas davon, dass Arbeit und Abrechnung nicht flexibel sein dürfen. Wir brauchen einfache Rahmenbedingungen, die genau das ermöglichen – ohne Bürokratiemonster, bitte!