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Differenzieren tut Not

Seit vier Wochen gilt in der Corona-Bekämpfung die so genannte bundesweite Notbremse. Natürlich hat sie nicht nur Fürsprecher. Ich selbst gebe zu, dass sich mir nicht alle darin vorgegebenen Maßnahmen und vor allem die neu definierten Inzidenzen und Grenzwerte erschließen. Bei den vielen Verordnungen und Gesetzesänderungen der vergangenen Monate in Bund und Ländern habe ich längst den Überblick verloren. Ich sehe und respektiere aber die Versuche, der Pandemie auf politischem Wege irgendwie Herr zu werden.

Wenig hilfreich finde ich dann Reaktionen, die von „Chaos“, „noch mehr Chaos“ oder „schlicht falsch“ reden. Denn so „schlicht“ sind die meisten Dinge ja bekanntlich nicht. Ich wünschte mir, in der Diskussion, in den Talkrunden im Fernsehen, auch in den Zeitungen und erst recht in den Sozialen Medien würde man sich solche Pauschalen sparen und zu einer differenzierten Bewertungs- und Denkweise kommen. Das gilt für alle Beteiligten. 

Trotz Corona: Es ist nicht alles schlecht

Differenzierung tut not. Auch wenn es manchmal schwer fällt. Auch als Unternehmer muss ich differenzieren. Ich sehe, welche Schwierigkeiten uns die Corona-Pandemie gerade in den Ingenieur-technischen Branchen wie im Maschinenbau, im Fahrzeugbau oder im Flugzeugbau bringt. Denn wir und unsere Kunden arbeiten jeden Tag mit zahlreichen Partnern über Fachbereiche und Ländergrenzen hinweg. Da können einem ein Lockdown auf der anderen Seite der Weltkugel und komplizierte Reisebeschränkungen schon Probleme bereiten, auch wenn manches weit weg ist. 

Ich sehe auch die Herausforderungen für meine Mitarbeiter, die sich zwischen Homeoffice, Homeschooling, Impfangebot und Testpflicht jeden Tag neu organisieren müssen. Sie bei Laune und motiviert zu halten, sie zu fördern und Ihnen zukunftsweisende Weiterbildungsangebote zu machen, ist im Moment eine der wichtigen Aufgaben für Arbeitgeber. Denn irgendwann geht es wieder aufwärts und spätestens dann brauchen wir in den Unternehmen richtig gute und aktive Leute.

Doch trotz all dieser und vieler weiterer Probleme und Herausforderungen bringt es ja nichts, wenn ich sage: „Alles ist schlecht“ oder „Die unfähigen Politiker“. Weil das auch nicht stimmt. Die Pandemie hat uns bis jetzt viele Nerven und richtig viel Geld gekostet. Sie hat uns gezeigt, dass Deutschland zum Beispiel bei der Digitalisierung der Schulen und beim Ausbau der Netz-Infrastruktur in vielen Regionen schlecht aufgestellt ist. 

Auf der anderen Seite ist aber auch gerade wegen der Pandemie und der Gegenmaßnahmen einiges überhaupt erst deutlich geworden. Wir kennen jetzt den Bedarf gerade bei der Digitalisierung. Wir haben Lücken erkannt, die nicht nur in der technischen Infrastruktur liegen, sondern in der Bildung allgemein, auch in der Ausbildung oder zum Beispiel beim Umgang mit den neuen (auch virtuellen) Methoden und Werkzeugen.

Steht die Maßnahme im Verhältnis zum Nutzen?

Differenzieren heißt wortwörtlich „fein unterscheiden“, Unterschiede herauszufiltern und zu beachten. Beim Datenschutz zum Beispiel. Auf meinen letzten Blog-Beitrag schrieb ein User bei LinkedIn, der Datenschutz sei „verantwortlich dafür, dass Deutschland bei vielen Themen nur noch Mittelmaß ist“. Vielleicht wird beim Thema Datenschutz auch zu wenig differenziert, zu wenig unterschieden. 

In Baden-Württemberg zum Beispiel erwägt die Landesregierung, dass Schulen nach den Sommerferien nicht mehr mit Microsoft und dem bewährten und von vielen genutzten Tool „Teams“ arbeiten sollen. Ich kann die vorgebrachten datenschutzrechtlichen Bedenken nachvollziehen. Ich weiß aber auch, dass „Teams“ zum Standard der Industrie geworden ist. Daher muss ich unterscheiden (!) zwischen den Fragen des Datenschutzes und der Praktikabilität für einen erfolgreichen digitalen Unterricht. Ich empfehle außerdem, Schülern den Umgang mit neuen, gängigen Werkzeugen und damit das Rüstzeug für ihre persönliche und berufliche Zukunft mitzugeben. 

Wir sollten also immer die Frage stellen: Steht die Maßnahme in einem gesunden Verhältnis zur Wirkung? Wenn Zehntausende Schülerinnen und Schüler nicht mehr auf einem etablierten System arbeiten können? Solange die Landesregierung eine alternative Plattform bietet, die ihren Datenschutz-Vorstellungen entspricht und (!) gleichzeitig den Schülerinnen und Schülern ähnlich gute und bewährte Möglichkeiten bietet, soll mir das recht sein. Aber bitte erst die neue Plattform liefern, dann die alte canceln.

Differenzieren macht den Erfolg aus

Differenzieren ist keine Frage von Höflichkeit, sondern ein Weg, um in einer Gruppe oder Gesellschaft zu einem guten Ergebnis zu kommen. Pauschalieren macht alternative Möglichkeiten zunichte und kanzelt ganze Gruppen von Menschen ab. Differenzieren hilft zu erkennen, wo konkret die Probleme und Risiken liegen und wo die Chancen. 

In unserer Arbeit als Ingenieure und Berater in Industrie-Unternehmen ist dieses Differenzieren professioneller Alltag. Wir müssen sehr genau hinsehen, welche Maschine, welche Anlage unter welchen Rahmen- und Umweltbedingungen wo und wie funktionieren und von wem sie bedient werden soll. All das sind strategische und technische Fragen, die wir genau beantworten müssen, um Erfolge zu produzieren. Rechtliche Rahmenbedingungen wie CE-Konformität, REACH, Recycling und Nachhaltigkeitskonzepte bzw. Nachhaltigkeits-Vorgaben kommen noch dazu. Alles ist zu berücksichtigen, bevor wir bei unserem Rat an den Kunden zu einem Ergebnis kommen.

Pauschalieren birgt technische und gesellschaftliche Risiken

Wenn wir – egal ob unsere Mitarbeiter, unsere Kunden oder unsere Kompetenz-Partner – ungenau arbeiten und technische Details pauschalieren, dann stimmt das Ergebnis nicht mehr. Im Extremfall setzen wir damit Menschen Risiken aus, das dürfen wir nicht verantworten.

Wenn pauschal geurteilt oder zu schnell oder zu wenig weitsichtig und nachhaltig agiert wird oder wenn in der öffentlichen Diskussion Plattitüden gepostet werden, dann gibt es ebenfalls Risiken. Und die daraus entstehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Risiken sind noch viel größer, als die technischen in unserem Metier.

Darum ist Differenzieren so wichtig.